Meine Tochter ist jetzt genau drei Monate alt. Für jeden Tag, den wir bisher gemeinsam verbringen durften, bin ich unendlich dankbar und mit jeder Sekunde verliebe ich mich mehr in sie. Sie ist mein Sternchen, meine Maus, meine bildhübsche, wundervolle, bezaubernde und perfekte Tochter. Sie ist das Beste, was mir jemals passiert ist.
Und gleichzeitig stehe ich seit ihrer Geburt Ängste aus, wie ich es mir davor nicht vorstellen konnte. Ich habe Angst, dass ihr etwas passieren könnte. Dass es ihr nicht gut geht, dass sie krank wird, dass ich ihr beim Hochheben weh tue, dass mir der Kinderwagen auf die Straße rollt, dass böse Menschen ihr etwas antun wollen, dass sie einen Krieg miterleben muss, dass man sie entführt und ihr schlimme Dinge antut...
Mit viel Glück wird nichts davon jemals passieren und sie außer den notwendigen aufgeschürften Knien als Kind keinen größeren Schaden davon tragen.
Und wenn wir richtig viel Glück haben, dann wird sie irgendwann als alte, grauhaarige Frau auf ein erfülltes, glückliches und zufriedenes Leben zurückschauen können, voller Freude, Freunde und geliebter Menschen.
Das wünsche ich meiner Tochter von ganzem Herzen.
Bevor ich ein Kind hatte, konnte ich mir diese Gefühle nicht vorstellen. Die Natur hat das schon clever eingerichtet. Als Mutter gibt es plötzlich nichts Wichtigeres mehr als das eigene Kind, welches man vor allem Bösen auf dieser Welt beschützen möchte. Diesen Beschützerinstinkt stellt man sogar über sein eigenes Leben.
Wahrscheinlich unterscheiden wir uns diesbezüglich gar nicht allzu sehr von anderen Säugetieren. Wenn ich mir zum Beispiel ansehe, wie eine Katzenmutter zärtlich ihre Jungen putzt, eine Löwin mit aller Kraft ihre Jungen verteidigt, wie sanft ein Wal sein Kalb berührt oder wie innig die Beziehung zwischen einer Kuh und ihrem Kalb ein Leben lang ist.
Es ist wundervoll zu sehen, wie auch im Tierreich die Mütter ähnlich zu empfinden scheinen und ihre Kinder das Tollste und Wichtigste für sie zu sein scheinen.
Und genau an dieser Stelle verstehe ich es nicht mehr.
Wie kann eine frischgebackene Mutter es zulassen, dass einer anderen Mutter genau das Leid zugefügt wird, das sie selbst am meisten fürchtet? Wie kann man zulassen, dass einer Mutter das Kind wenige Stunden nach der Geburt weggenommen und entführt oder sogar getötet wird? Wie kann man, wenn man diese wunderbaren Gefühle als Mutter jemals erfahren durfte, erlauben, dass irgendeiner anderen Mutter das Glück des eigenen Kindes verwehrt wird?
Wie kann man als Mutter zulassen, dass eine andere Mutter um ihr Kind trauern muss und sie es nicht aufwachsen sehen darf? Und wie kann man als Mutter all dies sogar noch unterstützen?
Mit jedem Glas Kuhmilch, das wir trinken, mit jedem Käse, den wir essen, mit jeder Butter, die wir kaufen, unterstützen wir genau das oben Beschriebene.
Damit eine Kuh Milch gibt, muss sie ein Kalb gebären. Kein Säugetier, auch keine Kühe, geben einfach so Milch. Die Milch ist für den Nachwuchs gedacht, genau wie beim Menschen.
Mit viel Glück, ist das Kalb weiblich. Dann wird es der Mutter direkt nach der Geburt weggenommen und ebenfalls zur Milchkuh. Die beiden werden sich jedoch nie wiedersehen.
Mit etwas weniger Glück ist das Kalb männlich. Dann wird es der Mutter ebenfalls direkt nach der Geburt weggenommen, kommt aber direkt zum Schlachter und wird dort getötet.
Wäre ich eine Kuh, dann könnte ich jetzt nicht mit meiner Tochter kuscheln. Dann könnte ich sie jetzt nicht berühren, ihr beim Schlafen zusehen, ihre Stirn küssen und ihr sagen, wie unendlich ich sie liebe.
Wäre ich eine Kuh, dann wäre meine Tochter bereits in irgendeinem großen Milchbetrieb, völlig auf sich alleine gestellt mit lauter fremden anderen Kühen auf dem Weg zu einem nicht lebenswerten, kurzen Leben als Milchkuh und ich würde sie nie wiedersehen.
Wäre ich eine Kuh, dann wäre mein Sohn schon längst tot.
Wäre ich eine Kuh, dann wäre ich bereits wieder schwanger mit einem Kind, das ich nicht behalten darf, nur damit ich wieder Milch gebe, die mein Nachwuchs nicht trinken darf.
Wie kann man als empathischer Mensch sein Kind im Arm wiegen und mit gutem Gewissen Milchprodukte konsumieren, die so viel Leid in der Welt verursachen, wie man es selbst niemals erleben möchte?
Meine schlimmsten Alpträume tun wir jeden Tag wieder und wieder anderen fühlenden Lebewesen an. Allein beim Gedanken daran, was diese Mütter durchmachen müssen, kommen mir die Tränen.
Danke, dass ich nicht als Kuh auf die Welt kam, sondern mein Kind in meinen Armen halten darf.